Ulrich Roski: Fernsehen Ist Gesund

(spoken prose)
''Wenn man durch diverse Schluche und Kabel im wahrsten Sinne des Wortes ans Bett gefesselt ist,
sind die Mglichkeiten der Zerstreuung in gewissem Mae eingeschrnkt. Andererseits kann man
endlich mal das tun, was man bei gesunden Nichtsnutzen immer beneidet hat, nmlich den ganzen
Tag durch die Fernsehkanle zappen.
Ich bin im Krankenhaus umgeben von kranken Menschen, kranken Pflegern, kranken Schwestern. Ich
schalte den Fernseher ein, um endlich ein paar gesunde Gesichter zu sehen. Es erscheint Angela
Merkel. Wie immer ist sie total berschminkt. Durch den Kinderkanal toben die Teletubbies, im
Seniorenkanal luft Der Br. Ich zappe weiter: Schwarzwaldklinik von 1978. Seh ich heute mit ganz
andern Augen.
Die Zimmertr geht auf ohne anzuklopfen. Schwester Hulda kommt mit der Guten-Morgen-Spritze. Sie
ist meine Lieblingsschwester. Kokett kommentiert sie das Bildschirmgeschehen mit den Worten: Die
Schwestern im Fernsehen sind alle viel hbscher als ich. Dafr sind Sie dicker schmeichle ich. Die
Spritze fllt heute besonders intravens aus. Knnen Sie mir mal die Quetsche anreichen, damit ich
weiter zappen kann? Dass Sie wie ein Halbwchsiger reden, macht Sie auch nicht jnger stichelt
sie. Oder werden Sie schon alterskindisch? Sie legt die Fernbedienung auf das Fensterbrett. Ich
muss mich durch die Schluche hangeln. Was ich dann sehe, lohnt den Aufwand nicht:
Gymnastik fr Mutter und Kind. Kann ich nur virtuell nachvollziehen. Ich zappe weiter: Gesundheitsmagazin.
Genau was ich jetzt brauche. Sie zeigen die Lunge eines tranchierten Kettenrauchers.
Lecker! Raucher erlutert ein Weikittel sterben gern an Lungenkrebs! Ich kenne Leute, die
rauchen gern, eine Prferenz fr Lungenkrebs haben sie allerdings noch nie geuert. Ein
Regierungssprecher verherrlicht die Gesundheitsreform. Er beschimpft rzte und Patienten, die
angeblich zu lange im Krankenhaus rumhngen. Er nennt das Verweildauerberhang. Schnes Wort
und so menschlich. Schwester Hulda nennt es Versorgungsaggressivitt. Die Leute liegen hier rum
und nrgeln: nun tut doch endlich was fr mich, ich bin so krank! Wahrscheinlich hat die
Gesundheitsreform sie krank gemacht vermute ich. Nein! Das Alter! behauptet Hulda. Wie, das
Alter? frage ich. Die Leute werden einfach zu alt, deshalb werden sie krank. Nur wer frh stirbt, bleibt
gesund. Die Chance hab ich jetzt ja wohl verpasst sthne ich. Schade eigentlich gibt sie zurck.
Zur Strafe bringt sie mir gleich das Mittagessen. Ich habe sie in Verdacht, fr mich immer etwas
besonders Ekelhaftes auszusuchen. Ich blicke auf den Teller und frage vorsichtig Hat das vor mir
schon mal jemand gegessen? Natrlich frohlockt sie oder glauben Sie, Sie sind der Einzige, dem
schlecht wird von der Chemotherapie? Morning Has Broken singe ich, und sie fhrt fort
ursprnglich war das brigens mal Lungenhaschee. Von einem Raucher? frage ich. Sie geht ohne
zu antworten.
Im Fernsehen luft der Kchenhit Alfredissimo. Biolek hantiert mit seinen Brhwrfeln. Sieht auch
nicht besser aus als mein Essen. Ich zappe weiter: Vera am Mittag. Brisante Themen fr irrelevante
Minderheiten. Heute ein Beitrag fr linkshndige Sozialarbeiter mit aggressiver Gesichtsakne. Fllt
nicht in meine Zielgruppe. Aber es kommt noch schlimmer. Hitparade der Volksmusik. Mutantenstadl.
Heut singt der Adel. Prinz Ernst August von Hannover bringt seinen Hit Ich kann das Wasser nicht
mehr halten. Im Seniorenprogramm luft Der Br, Teil 2. Schwester Hulda kommt mit einem
Tranquilizer. Ich bin ganz ruhig protestiere ich. Das knnen Sie gar nicht beurteilen, so wie Sie
wieder rumzappeln. Ja, weil ich die Spritze hasse! Gibt es nicht etwas Sanfteres, ein
Beruhigungszpfchen oder etwas in der Art? In der Art htte ich fr Sie einen Maiskolben erwidert
sie in Fenchelhonig mariniert. Ich werde noch ruhiger.
Die Teletubbies machen ihren Mittagsschlaf, der Br liegt im Koma. Stattdessen gibt es Vera am
Nachmittag. Thema: Perversionen des Alltags. Heute Ich bin so scharf auf meinen Hamster. Was
soll denn daran pervers sein? Anders dagegen der Talk mit Jrgen Fliege. Da meldet sich gleich das
Lungenhaschee zurck. Ich whle eine daily soap. Das trnt mich an, besonders wenn der Sponsor
vorab seinen Senf dazu gibt. Man knnte es sich nicht besser ausdenken. Verbotene Liebe mit
Maggie Tomatenketchup. Das macht einfach Spa. Teufel, Teufel, das haben wir den Kindern damals
verschwiegen bei der antiautoritren Aufklrung. Aber vielleicht ist es besser, dass sie erst jetzt darauf
kommen, wo sie ne eigene Wohnung haben. Da mssen sie dann die Sauerei selber beseitigen.
Alternativ luft ein ffentlich-rechtlicher Wiederholungskrimi. Das Opfer vermutet der Kommissar
wurde wahrscheinlich mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen. Opfer werden gern mit einem
stumpfen Gegenstand erschlagen. Harry fahr schon mal den Wagen vor. Fernsehkoch Biolek giet
seine Brhwrfel ab. Ich zappe zurck zur Soap.
Schwester Hulda bringt schon das Abendbrot und schaut missbilligend auf die verbotene Liebe mit
Tomatenketchup. So etwas htte man frher nicht im Fernsehen senden drfen mkelt sie. Dann
stellt sie mir das Abendbrot hin: Eier im Glas. Ich schnuppere daran. Kann es sein, dass diese Eier
nicht mehr ganz frisch sind? wage ich schchtern zu bemerken. Na, Ihre sind ja auch nicht mehr so
frisch kichert sie. Finden Sie das politisch korrekt? frage ich. Und sie volksmndelt Lieber eine
gesunde Verdorbenheit als eine verdorbene Gesundheit!
Im Fernseher luft die Tagesschau. Die Nahostkonferenz in Damaskus wurde von mehreren
Attentaten berschattet. Solche Ereignisse werden gern berschattet. Danach das Fuballspiel
Deutschland gegen die Malediven. Eine Katastrophe! Zum Glck luft das Spiel morgen frh noch mal
im Vormittagsprogramm. Vielleicht sind sie dann besser drauf. Es ist spt geworden. Vera im
Schlafrock. Skurrile Randgruppen. Heute ein Beitrag fr heterosexuelle Friseure. Es gibt also doch
noch echte Perversionen. Eine andere Talkrunde hat Jrg Haider eingeladen. So etwas htte man
frher auch nicht senden drfen. Na ja, vielleicht ganz frher. Seniorenprogramm: Der Br ist aus dem
Koma erwacht. Das ist mir zu aufregend fr den Abend. Der Kinderkanal dagegen bringt Das
Kettensgenmassaker. Da ist die Welt noch in Ordnung.
Ich bin so entspannt, dass ich locker ohne Hilfsmittel einschlafen knnte. Schwester Hulda ist aber
anderer Meinung. Ich bin ganz ruhig brlle ich. Ich gebe Ihnen die Spritze ja nicht zum Spa brllt
sie zurck. Das wage ich zu bezweifeln. Haben Sie eigentlich nie Feierabend? Ich wollte Ihnen eine
Freude machen und schiebe eine Doppelschicht. Sie sind eine Sadistin. Sie sollten mal in einer
Talkshow mitwirken. Ich schlafe ein und trume in Fernsehspots. Vera und der Br; Biolek im
Ketchuprausch; scharfer Hamster beim Kettensgenmassaker. Empfange mich, oh sanfter
Schlummer. Schlafen Sie schon? kreischt eine mir bekannte Stimme. Wie gesagt, sie ist meine
Lieblingsschwester.
Ich htte jetzt gern einen stumpfen Gegenstand.