Reinhard Mey: Friedhof

Ich geh' gern in einer fremden Stadt
Auf den Friedhof, so ein Friedhof hat
Etwas Gastfreundliches und steht allen offen:
Manchem nur fr seine Mittagszeit,
Manchem fr die ganze Ewigkeit
Und du hast schnell 'nen Gesprchspartner getroffen.
Insel im Meer der Geschftigkeit,
Blumengarten der Gelassenheit,
- Sinnigerweise vom Lebensbaum umgeben -
Zeig mir Hochmut und Vergnglichkeit,
Trste mich und mach den Blick mir weit
Fr den Wert der Dinge, an denen wir kleben!

Jede Grabinschrift und jeder Stein
Erzhlen mir in Grberlatein
Von den Unvergess'nen, die zu frh entschweben.
Jede Plasteblume, die da spriet,
Jede Primel, die kein Schwein mehr giet,
Kann mir was erzhl'n von denen, die noch leben.
Ich seh mir die Jahreszahlen an:
Manchmal kommt er frh, der Sensemann,
Manchmal trdelt er herum, der alte Mher.
Geh nur deiner Wege sagt er mir,
Einmal enden sie doch alle hier
Und du siehst ja, die Einschlge kommen nher!

Ich sitz' gern auf einer Friedhofsbank,
Seh' die schattigen Alleen entlang
Und denk' nach ber den tief'ren Sinn der Reise.
Mit dem schicken Laptop auf den Knien
Bltter' ich von Termin zu Termin
Und wenn Wichtig! davor steht, kicher' ich leise.
Kann ja sein, ich verpa' grad den Tanz
Um das gold'ne Kalb - aus der Distanz
Wird nicht jedes Dringend und Eilt sehr! beachtet.
Es ist nichts, von dem man immer denkt,
Da die ganze Welt davon abhngt,
Wichtig, von einer Friedhofsbank aus betrachtet!

Heute macht sich schon manch Junger krumm
Fr 'nen Platz im Altersheim, darum
Geh' ich da nur konsequent einen Schritt weiter:
Mach mich schon mal mit dem Platz vertraut,
An dem man mich eines Tags verstaut
Und geh an den Job zurck, gelst und heiter.
Aufgerumt und quicklebendig kehr'
Ich heim in das Leben ringsumher,
Les' im Geh'n die Inschrift auf der Friedhofsmauer.
Die Lektion, die sie mich schweigend lehrt
Ist die grad geschwnzte Sitzung wert:
Jedes Ding hat seine Zeit, nichts ist von Dauer!

Jedes Ding, steht da, hat seine Zeit,
Dabei wre ich durchaus bereit,
Gegebenenfalls berhaupt nicht zu sterben,
Um den Beisetzungsgeiern und den
Peinlichen Grabreden zu entgeh'n,
Doch ich will's mir mit meinen Erben nicht verderben.